Die Berliner Gewerkschaften befanden sich zwischen 1945 und 1989 in einer einzigartigen Situation. Die deutsch-deutsche Situation bestimmte die Spielregeln für ihre Tätigkeit auf sozial-, tarif- und betriebspolitischem Gebiet. Die globale Konfrontation prägte das politische und soziale Terrain und die Situationsanalysen der Gewerkschaftsverbände. Das Forschungsprojekt geht den Fragen nach, wie die Gewerkschaften in West- und Ost-Berlin von den Zäsuren der Nachkriegszeit, des Mauerbaus und des Endes der DDR beeinflusst wurden und wie sie darauf antworteten.
Diese Entwicklungen sollen anhand von drei Zeitfenstern erforscht werden: der Nachkriegszeit 1945-1949, der Zuspitzung des Kalten Krieges rund um den Bau der Berliner Mauer 1958-62 und dem Ende der DDR 1989/90. In der verdichteten Konfliktgeschichte der beiden deutschen Staaten wurden Weichen für die Bedingungen künftigen Gewerkschaftshandelns gestellt.
Nach 1945 entstand aus der Einheitsgewerkschaft der ersten Jahre eine Frontstellung der Ost- und West-Berliner Verbände gegeneinander. Das Projekt untersucht an ausgewählten Fallbeispielen: Was bestimmte die Entscheidungsfindung und das Handeln der Gewerkschaften? War der Einfluss von Senat und Bundesregierung entscheidend, waren es weltpolitische Lagen, makroökonomische oder branchenspezifische Bedingungen oder die Rolle einflussreicher Funktionäre? Für den Ostteil der Stadt wird der Blick auf Bestrebungen im SED-geleiteten FDGB gerichtet, im Interesse der Arbeitenden zu handeln.
Das Projekt nimmt eine sozial- und politikgeschichtliche Perspektive ein. Dabei wird die Organisationsgeschichte der Gewerkschaftsverbände verbunden mit der Auswertung von Geschäftsberichten, Protokollen, Korrespondenz und Gewerkschaftspresse, ergänzt um einen biografischen Zugriff auf wichtige Funktionär:innen. Es soll analysiert werden, wie die politische ‚Reaktionsfähigkeit‘ der Gewerkschaften auf gesellschaftliche Zäsuren und Transformationen beschaffen war. Auch politische Ideenbildung und gewerkschaftliches Selbstverständnis werden in den Blick genommen, verbunden mit einer geschlechtergeschichtlichen Analyse gewerkschaftlicher Männlichkeit bzw. der vorherrschenden Vorstellung von Arbeit und (Gewerkschafts-)Politik. Diese Geschichte wird mithilfe der umfangreichen Quellen untersucht, die DGB und FDGB Berlin hinterlassen haben. Diese dokumentieren die Verbandsgeschichte und Debatten in Vorständen und Bezirken, aber auch die gesamtdeutsche und die Betriebsebene.
Durchführung: Dr. Henning Fischer
Henning Fischer, geb. 1981 in Hamburg, lebt in Berlin. Dort und an der Adam Mickiewicz Universität Poznań Studium der Geschichtswissenschaften von 2002 bis 2010, 2017 Promotion zur Geschichte der Lagergemeinschaften Ravensbrück in DDR und BRD, 2018 erschienen als „Überlebende als Akteurinnen“. Tätigkeiten in der Jugend- und Erwachsenenbildung, unter anderem für die IG Metall. 2019 Kurator der Ausstellung „Frauen im Widerstand“ für die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Ab 2018 Forschung zur Gewerkschaftsgeschichte, seit dem Juli 2023 mit dem Projekt „Interessenvertretung im Kalten Krieg“.