Die Rolle der Gewerkschaften in den Prozessen der Einheit und Transformation ab 1989/90 ist bislang kaum erforscht. Sie hätten reagiert, anstatt aktiv Einfluss zu nehmen, so ein Narrativ. Ziel des Projektes ist es, Bedeutung und Wirkung gewerkschaftlichen Handelns und gewerkschaftlicher Zielsetzungen in der Phase des umfassenden Wandels der 1990er Jahre herauszuarbeiten und zu analysieren.
30 Jahre nach der Erreichung der staatlichen Einheit Deutschlands steht die zeitgeschichtliche Auseinandersetzung mit den Prozessen der Einheit und der umfassenden Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat auf der Tagesordnung. Damit gerät auch die Rolle der Gewerkschaften in den Blick der Wissenschaft. Die auf diesem Feld bestehenden Forschungslücken sind angesichts der Bedeutung der Gewerkschaften für das Erreichen gesellschaftlicher Einheit und ihrem Wirken als gesellschaftspolitische Kraft gravierend.
Eine zentrale Frage ist die der Partizipation. Welche Mitbestimmungsmöglichkeiten boten sich? Welche Bedeutung kam gewerkschaftlichen Konzepten für den Umbau zu, welchen Einfluss konnten Gewerkschaften auf die sozioökonomischen Wandlungsprozesse ausüben? Dies sind zentrale Fragen nach dem Zustand der „sozialen Marktwirtschaft“, in die die Wirtschaft der Ex-DDR umgewandelt werden sollte.
Das Projekt geht von folgenden Thesen aus: Der DGB und die in ihm vereinten Gewerkschaften waren, erstens, wie die meisten Akteure in Politik und Wirtschaft auf die Ereignisse der Jahre 1989/90 nicht vorbereitet, sie handelten in der Folge dennoch nicht planlos, mit dem Ziel den Prozess der Einheit und des wirtschaftlichen Strukturwandels mitzugestalten. In den gewerkschaftlichen Konzeptionen lässt sich, so die zweite These, im Laufe des Transformationsprozesses eine Verlagerung von Forderungen auf allgemeiner Ebene hin zu konkreten Konzepten (Sanierung, Strukturförderung etc.) erkennen. Und drittens: Die Region als Wirtschafts- und Handlungsraum stellt für die gewerkschaftlichen Einflussmöglichkeiten eine Akteursebene dar, in der Erfolge zu generieren sind. Das Projekt konzentriert sich auf folgende Schwerpunktbereiche: Die Chemieindustrie, die Energiewirtschaft und die Werften.
Das Projekt basiert auf einem „Methodenmix“. Zum wesentlichen Teil folgt es der „klassischen“ historischen Methode, d.h. der Auswertung und Interpretation schriftlicher Quellen sowie statistischen Materials. Zudem werden themenzentrierte Interviews mit ZeitzeugInnen und ExpertInnen geführt sowie bereits vorliegende Interviews aus früheren Projekten ausgewertet werden. Folgende Kategorien sind für das Erkenntnisinteresse des Projektes leitend: „Region“, als Ort „sozialer Interdependenzen“, „Netzwerk“, als Voraussetzung für „soziale Kompromisse“ sowie „Korporatismus“. Inwiefern war dieses Modell eines Interessenausgleiches zwischen Staat, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden in der Phase der Transformation tragfähig?
Durchführung: Prof. Dr. Detlev Brunner
Kurzbiographie: s. „Direktor“.