Neue Perspektiven auf den Vereinigungsprozess
Online-Workshop am Donnerstag, 22. April 2021 und Freitag, 23. April 2021
30 Jahre nach der Erreichung der staatlichen Einheit Deutschlands steht die Auseinandersetzung mit den Prozessen der Einheit und der damit verbundenen umfassenden Transformation von Wirtschaft, Medien, Gesellschaft und Staat auf der Tagesordnung. In den gegenwärtigen politischen Debatten wird hierzu ein Thema diskutiert, das in den letzten Jahren in den Hintergrund geraten war. Bereits überwunden geglaubte Argumente werden wieder virulent: das Gefühl der Benachteiligung, „Bürger zweiter Klasse“ zu sein, die Frage der Identität und Lebensleistung, nicht ausreichend beteiligt (gewesen) zu sein; Wahrnehmungen, wie sie in den 1990er Jahren verbreitet waren, werden erneut geäußert. Vieles von dem, was heute aufbricht, wurde vor 25 bis 30 Jahren unter- oder falsch bewertet, in der Hektik des Umbruchs missachtet, überdeckt durch allzu viele Herausforderungen, Verheißungen und Möglichkeiten. Damit rückt die Transformationsphase der ersten Hälfte der 1990er Jahre in den Blickpunkt: eine Phase des radikalen und in kurzer Zeit umgesetzten kompletten Strukturwandels in Staat, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft, der Umwälzung des Alltags, dem die ostdeutsche Bevölkerung mit schmerzhaften Erfahrungen ausgesetzt war.
Die Aufarbeitung dieser Phase wird allenthalben gefordert. Damit soll einer konstatierten Spaltung der Gesellschaft entgegengewirkt werden. Wie deutlich Erfahrungen der 1990er Jahre und heutige Stimmungslagen in einem kausalen Zusammenhang stehen, ist nicht leicht zu beantworten. Dass Prozesse wie die massiven Umbrüche der 1990er Jahre nachhaltige Wirkungen in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht zeitigen, ist jedoch unstrittig. Umso wichtiger ist es, die Jahre der Transformation jenseits polarisierter Narrative („Erfolg“ versus „Misserfolg“) wissenschaftlich zu untersuchen. Dabei lassen sich unterschiedliche Perspektiven einnehmen: soziologische, sozialpsychologische, zeitgeschichtliche, medienwissenschaftliche, medienhistorische, ökonomische, um nur einige zu nennen.
Der Workshop setzt sich zum Ziel, einen Teil dieser Perspektiven in einen interdisziplinären Dialog treten zu lassen. Damit soll ein fruchtbarer Austausch unterschiedlicher Methoden und Zugriffe ermöglicht werden.
Inhalte
Ein zentrales Problem in der Erforschung der Transformationsphase ist die Frage nach der Partizipation: Wie weit wurden die jeweils Betroffenen an Entscheidungen über ihre Zukunft beteiligt? Welche Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten boten sich, welchen Einfluss konnten sie geltend machen? 30 Jahre nach dem Mauerfall stellen sich unbeantwortete, verdrängte Fragen neu. Umbrüche und Veränderungen des Alltags, Verluste und Sinnsuche, Kontinuitäten und Brüche von Tradition und Sozialisation, Euphorie und (allzu schnell) enttäuschte Hoffnungen sind neu zu bewerten und einzuordnen. Dieser historische Umbruchsprozess ist ein noch nicht ausgeschöpfter Fundus der Mentalitäts-, Medien- und Politik-Geschichte, des kollektiven kulturellen Gedächtnisses.
Diese Fragen wird die Tagung aus verschiedenen fachwissenschaftlichen Perspektiven und auf verschiedenen Ebenen in den Blick nehmen. Es geht um Erwartungen, Wahrnehmungen, Enttäuschungen – die emotionale Dimension muss in die Erzählung der Geschichte der Einheit einfließen, andernfalls bleiben mögliche, sich heute zeigende Folgen unverständlich.
Programm
Donnerstag, 22. April 2021, 16.00 – 18.30 Uhr
16.00 – 16.30 Uhr Begrüßung
Judith Kretzschmar/Rüdiger Steinmetz/Detlev Brunner: Vorstellung des Themas und der veranstaltenden Einrichtungen
16.30 – 17.30 Uhr Vortrag und Diskussion
Judith Kretzschmar/Rüdiger Steinmetz (Leipzig): Abbruch. Umbruch. Aufbruch. Transformationsprozesse in lokalen Fernsehprogrammen Sachsens (1990-1995)
17.30 – 17.45 Uhr Pause
17.45 – 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion
Mandy Tröger (München): 30 Jahre Medienwende: Wie medienpolitische Lobbyarbeit westdeutscher Verlage die Transformation der DDR-Presselandschaft beeinflusste
Freitag, 23. April 2021, 11.00 – 14.15 Uhr
11.00 – 11.15 Uhr Begrüßung
Judith Kretzschmar/Rüdiger Steinmetz/Detlev Brunner: Kurzvorstellung der veranstaltenden Einrichtungen
11.15 – 12.00 Uhr Vortrag und Diskussion
Detlev Brunner: Einfluss ohne Mitbestimmung? Gewerkschaftliches Handeln in der Transformationsphase der 1990er Jahre
12.00 – 12.10 Uhr Pause
12.10 – 12.55 Uhr Vortrag und Diskussion
Jakob Warnecke (Potsdam/Leipzig): Betrieb und Gewerkschaft in der Transformation. Das Fallbeispiel Hennigsdorf
12.55 – 13.05 Uhr Pause
13.05 – 13.50 Uhr Vortrag und Diskussion
Jörn-Michael Goll (Leipzig): Die GEW im Einheits- und Transformationsprozess
13.50 – 14.15 Uhr Abschlussdiskussion